04.07.2024 - 1 Eröffnung, Begrüßung der Anwesenden durch den A...

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Wortprotokoll

Herr Horst Conradt, Alterspräsident, eröffnet die heutige Sitzung und stellt die ordnungsgemäße Ladung fest. Von 29 Stadtvertretern sind 27 anwesend. Somit ist die Stadtvertretung beschlussfähig.

 

Herr Conradt hält eine Rede.

Sehr verehrte Stadtvertreterinnen und Stadtvertreter,

es freut mich, dass es eine Wahl mit einer hohen Wahlbeteiligung gab: Mehr als 60 % der Wahlbevölkerung hat ihr demokratisches Recht wahrgenommen und für diese Zusammensetzung des Parlaments gesorgt. In einer Stadt wie Neustrelitz, die eine so reiche demokratische Tradition hat, muss uns das eine besondere Verpflichtung sein! Vor 175 Jahren erkämpften die Bürger des kleinen Großherzogtums Mecklenburg-Strelitz die ersten Ansätze von Demokratie auf unserem Territorium. Persönlichkeiten wie Karl Petermann, Adolf Glaßbrenner und Daniel Sanders gründeten den Reformverein, und „Die Blätter für freies Volksthum“ wurden von ihnen herausgegeben.  Damit wurde die Verbreitung des demokratisch-revolutionären Gedankenguts in Mecklenburg-Strelitz vorangebracht, und so kam es am 7. September 1848 zu einer machtvollen Demonstration von ca. 4.000 Bürgern vor dem Schloss. Infolgedessen gab es demokratische Erfolge: Verschiedene, besonders reaktionäre, Minister mussten zurücktreten, das Wahlrecht wurde geändert. In einigen wichtigen Fragen hatten sich die Demokraten durchgesetzt. Leider konnten die reaktionären Kräfte dies alles im darauffolgenden Jahr wieder zurückdrehen.

 

Aber schon im Dezember 1918 - also nur 70 Jahre später – wurden die Gedanken und Forderungen aus der 48er Revolution virulent:

Es fanden in Mecklenburg-Strelitz die ersten freien Wahlen statt, an denen auch Frauen das aktive und passive Wahlrecht ausüben konnten. Im Neustrelitzer Schloss trat im Januar 1919 ein Landtag zusammen, der die erste demokratische Verfassung in Deutschland beschloss.  – Die Weimarer Reichsverfassung trat erst ein halbes Jahr später in Kraft.

 

Mir ist es wichtig, dieses hier und heute in Erinnerung zu rufen, denn wir wissen, wie schnell die Weimarer Verfassung wieder abgeschafft wurde. Schon 15 Jahre später begann der deutsche Faschismus und zerstörte alle demokratischen Ansätze mit allen dann folgenden katastrophalen Entwicklungen.

1945 erfolgte durch die Rote Armee auch die Befreiung unserer Region vom Faschismus – mit den auch hier wieder schrecklichen Begleiterscheinungen.

 

1949 wurde auf dem Gebiet der sowjetischen Besatzungszone die „Deutsche Demokratische Republik“ gegründet, eine Gesellschafts-form mit einer de facto „Ein-Parteien-Demokratie“, ein autoritäres Regime, in dem es keine unabhängige Justiz und keine Gewalten-teilung gab. Es wurde streng von oben nach unten regiert. Und die Sozialistische Einheitspartei war die Trägerin der Macht im Staat. Viele von Ihnen wissen das besser als ich.

 

Am 18. 10. 1989 gründete sich in Neustrelitz das „Neue Forum“ und erhob u. a. folgende Forderungen: „Zulassung von neuen Organisationen und Parteien, ein neues Wahlgesetz, bei dem der Bürger zwischen Programm und Personen entscheiden muss, Kontrollmöglichkeiten in Bereichen, wo sich Macht bündelt und missbraucht werden kann, Veränderungen im Bildungssystem usw.

Der damalige Landessuperintendent Kurt Winckelmann prägte in der Wendezeit die Worte: „Die Wende in Neustrelitz haben die drei großen „K“ bewirkt – Kirche, Krankenhaus und Künstler“. Das war keine Übertreibung, denn von den Vertretern vor allem der evangelischen Kirche, von Medizinern und Schauspielern des Friedrich-Wolf-Theaters gingen in unserer Stadt die entscheidenden Impulse des demokratischen Aufbegehrens im Herbst 1989 aus.

(Kleiner Ausblick: Am 9. November dieses Jahres wird in Neustrelitz der 35. Jahrestag des Mauerfalls, das „Jubiläum 35 Jahre Friedliche Revolution“, gefeiert.

 

Kleiner Rückblick: Und wir können froh sein, dass durch den engagierten, öffentlichen Protest unserer Bürgerinnen und Bürger im Jahre 2014/15 das Neustrelitzer Theater gerettet wurde!)

Am 1. Juli 1990 trat die Währungsunion in Kraft. Die „D-Mark“ ersetzte die „Mark der DDR“. Am 23. August 1990 beschließt die Volkskammer der DDR in einer Nachtsitzung – mit Bezug auf Artikel 23 des Grundgesetzes der BRD – den „Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes“, und zwar zum 3. Oktober 1990. Seit diesem Tag gilt also die Verfassung der BRD auch bei uns in Neustrelitz.

 

Im Mai dieses Jahres wurde der 75. Jahrestag dieses Grundgesetzes gefeiert, und wir wissen, wie gefährdet die Demokratie ist – bei uns in Deutschland und in Europa.

In seiner jüngsten Verlautbarung zur Auswertung der Kommunal-wahl, im letzten Strelitzer Echo, erklärte Andreas Grund:

Zitat: „Als Bürgermeister möchte ich betonen, dass Neustrelitz weiterhin auf demokratische Werte und einen offenen Dialog setzt.“ Zitatende.

 

Ich halte es für beachtlich, dass unser Bürgermeister zu einer solchen Bemerkung sich veranlasst fühlt, und ich hoffe, dass die deutliche Mehrheit dieser Stadtvertretung in diesem Sinne ihre Arbeit tun wird!

 

Bevor wir in der Tagesordnung weiter verfahren, gestatte ich mir noch einen Hinweis auf Daniel Sanders, wie schon erwähnt, einer der maßgeblichen Aktivisten der „48er Revolution“ in Neustrelitz und einer der bedeutendsten Sprachforscher Deutschlands sowie auch ein engagierter Pädagoge, der einen Kulturbegriff entwickelt hat, der davon ausgeht, dass am besten am konkreten eigenen Denken und Fühlen gelernt und erlebt werden kann, was Kunst und Kultur, ihre Produktion und Rezeption, was kulturelles Engagement, was praktische Projektarbeit für die eigene Lebensqualität und Bewusstseinsentwicklung bedeuten: „FÜHLEN UND DENKEN, DAS ZUM HANDELN FÜHRT.“

Das beinhaltet einen kritischen Blick auf unsere Geschichte und eine klare Orientierung auf die kulturellen Leitideen einer aufgeklärten, humanistischen Gesellschaft, der bewusste Bezug genau auf diese Traditionen unserer Geschichte. Und das sich praktisch-gestaltende Einmischen in diese gesellschaftlichen und kulturellen Auseinandersetzungen sind die wesentlichen Merkmale einer emanzipatorischen politischen Arbeit.

Das war 1848/49 so, das war in der Wendezeit so, und das ist heute wieder aktuell. Diese Orientierung dürfen wir nicht verlieren! Ohne diese Orientierung haben wir keine Aussicht auf eine für alle Bürger lebenswerte Zukunft!

Das ist eine aus unserer Geschichte entstandene Verpflichtung, der sich insbesondere die Kulturschaffenden und die PolitikerInnen dieser Stadt stellen müssen. Wenn wir dieser Verpflichtung nachkommen und sie zur Grundlage unseres demokratischen Handelns machen, dann muss uns um die Zukunft unserer Stadt nicht bange sein. Aber ich habe schon im September letzten Jahres bei der Vernissage zu einer Ausstellung zur „48er Revolution“ im Kulturquartier gesagt: „Darum muss uns allerdings sehr bange sein, wenn wir es nicht tun!!

Am 28. August 1998 sagte der ehem. Bürgermeister der Hansestadt Bremen hier in Neustrelitz anlässlich einer Schülerausstellung zur Revolution von 1848 im Carolinumu. a.:

Zitat: „Hoffentlich sind wir nun stark und bewusst genug, einem Wiederaufkommen nationalistischen Verführens entschieden entgegenzutreten. Diese Hoffnung richtet sich an West wie Ost, hatten wir doch nach 1945 gemeinsam geschworen alles zu tun, um ‚Nie wieder Hiroshima, nie wieder Auschwitz‘ zuzulassen. Die Sicherung von Recht und Freiheit bleibt europäisches Vermächtnis.“ Zitatende

 

In diesem Sinne wünsche ich uns 5 Jahre gute Zusammenarbeit zum Wohle unserer Neustrelitzer Bürgerinnen und Bürger – auch mit Hilfe einer Streitkultur, die grundsätzlich davon ausgeht, etwas Positives und Bedeutendes hervorbringen zu können. Das schließt ein, dass wir alte Normen und Fakten (vielleicht auch alte Beschlüsse) infrage stellen können und nach möglichen Alternativen Ausschau halten.

Ich bedanke mich dafür, dass ich meine Gedanken hier ausführen durfte.

 

Es erfolgt eine kurze Vorstellungsrunde der Stadtvertreterinnen und Stadtvertreter.

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